Irène Hug & Christine Weber
WORLD ON WIRE

14.06.
Eröffnung: Sa 14.06.2025 • 19 Uhr
Ausstellung: 18.06. – 21.06. • Mi – Sa – 15:00 -19:00 Uhr
Finissage: Sa 21.6.2025 • 17 Uhr
Kuratiert von Alekos Hofstetter
english below
Die ZWITSCHERMASCHINE zeigt im Rahmen der Ausstellung WORLD ON WIRE Werke von Irène Hug und Christine Weber. Die Rauminstallation von Irène Hug, ist als ästhetische Intervention im Ausstellungsraum, als künstlerisches Statement im Rahmen eines Urbanistikdiskurses und als Verweis auf den Umgang mit Energie, Daten und Recyclingprozessen lesbar. Christine Webers Gemälde hingegen zeigen uns Bildnisse einer telefonierenden jungen Frau und kommen der Inszenierung eines inneren Zwiegesprächs gleich.
Die verschiedenen Positionen beider Künstlerinnen vereint, dass sie gemeinsam das Angebot an den Betrachter formulieren, die Produktion von Raum an Schnittstellen zwischen Kunst, Architektur, Film und Urbanismus zu reflektieren.
Irène Hug installiert eine gebündelte Menge von Kabeln und Röhren mitten im Ausstellungsraum. Sie scheinen den Raum förmlich zu durchdringen, aus dem Boden kommend und senkrecht an die Decke stoßend. Es ist ein buntes Gewusel von verschiedensten Leitungsmaterialien und Kabeln, wie es auf Baustellen zu finden ist. Alle Teile sind Fundstücke und eigentlich Abfall oder Überbleibsel aus den Bautätigkeiten in unseren Wohn- oder Geschäftshäusern. Sie waren dazu da, Energie und Daten zu leiten, die wir täglich brauchen. Wie lebenswichtige Adern verbinden sie die Produzent*innen mit den Verbraucher*innen und bleiben doch normalerweise im Verborgenen. Die verwendeten Fundstücke können somit wie archäologische Überbleibsel als Repräsentanten einer Kultur in der sie technische Funktionsträger waren gelesen werden. Hier präsentieren sie sich jedoch in ihrer ganzen Farbigkeit an zentraler Stelle wie eine plastische Malerei und zitieren nebenbei auch die Farbpalette von Christine Webers Bildern.

Eine zweite Arbeit ist in der Fensterhälfte zur Straße installiert. Es handelt sich um eine auf Backlitfolie gedruckte Fotografie eines großen Wohnblocks aus Neapel („Bingo“ 2025), in dem gegenwärtig überwiegend Migranten wohnen. Tatsächlich steht das Haus einer Talsperre gleich am Rande des Bahnhofsplatzes von Neapel und versperrt einen direkten Zugang zur historischen Altstadt. Im Kontext der Ausstellung wird der Durchblick durch die eine Hälfte des Fensters durch die Fotografie des Wohnblocks verhindert und die andere Fensterhälfte gibt den Blick frei auf den an der gegenüberliegenden Seite der Potsdamer Straße stehenden Wohnblock „Pallasseum“. Anstelle des sonst üblichen Bilderrahmens – als eine Art Fenster zur fokussierten Ansicht – erscheint nun die rechte Fensterhälfte als Bildrahmen, der uns eine ausschnitthafte Sicht auf das bisweilen auch „Sozialpalast“ genannte nachkriegsmoderne Bauwerk eröffnet.

Christine Weber zeigt in ihren drei Ölgemälden aus der Serie „Flip The Switch“ einen Dialog und die Inszenierung eben dieses Dialogs. Eine Frau telefoniert und scheinbar im Spiegel sieht der Betrachter die gleiche Frau telefonieren, allerdings in anderer Körperhaltung. Wer führt hier einen Dialog mit wem, oder handelt es sich hier gar um die Darstellung eines Selbstgesprächs? Im dritten Gemälde wird dem Betrachter enthüllt, dass es sich um die Darstellung einer Inszenierung eines Dialogs handelt, denn der Aktionsraum in dem die Schauspielerin ist, befindet sich innerhalb eines viel größeren Raums, eines aufwändigen Filmsets.
Wilhelm von Humboldt schrieb: »Der Mensch spricht sogar in Gedanken, nur mit einem Andren, oder mit sich, wie mit einem Andren« (Ges. Schriften in 17 Bänden. Berlin 1903–1936. Bd. VI. S. 25). Wir können nach Humboldt also gar nicht anders als in sprachlich-argumentativer Weise denken. Und: »Zwischen Denkkraft und Denkkraft … giebt es keine andere Vermittlerin, als die Sprache« (…). Sprache ist nun einmal ein Verhältnis zwischen mindestens zwei Menschen: »Die Sprache muss nothwendig … zweien angehören« oder »die Sprache richtet ferner den in Worte gefassten Gedanken immer an einen Andren, äusserlich wirklich vorhandenen oder im Geiste gedachten«.

Christine Webers malerische Inszenierung des Raums und der Situation vermittelt, dass Reflexion immer dialogisch ist. »In der Reflexion, d.h. dem Denken des Denkens, dem Nachdenken über das Gedachte, der Thematisierung unserer Thematisierungsweisen usf., übernimmt man stets abwechselnd die Rolle von Proponent und Opponent; man macht sich selbst Einwände, um sie nach Möglichkeit zu entkräften oder seine Überzeugungen mit Gründen zu ändern« (H. Schnädelbach: Reflexion und Diskurs. Frankfurt 1977).
Die Inspirationsquelle für „Flip The Switch“ bildete Stanley Kubricks Film „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben (Originaltitel: Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb) aus dem Jahr 1964.
Alekos Hofstetter, Berlin, Juni 2025
Irène Hug studierte von 1987 bis 1991 Malerei an der Gerrit Rietveld Academie, Amsterdam. 2020 erhielt sie das Stipendium Neustart Kultur der Stiftung Kunstfonds/ Bonn, 2022 das Aufenthaltsstipendium Dialogfelder, Club Solitear/ Chemnitz und das Stipendium der Stiftung Kunstfonds, Bonn. Ihre Werke wurden in nationalen und internationalen Ausstellungen gezeigt. Irène Hug lebt und arbeitet in Berlin.
Christine Weber studierte von 1989 bis 1995 Visuelle Kommunikation an der FH für Gestaltung in Bielefeld und von 1995 bis 1998 Bildende Kunst an der HdK Berlin bei Prof. Klaus Fußmann. 2021 erhielt sie das Recherchestipendium – Bildende Kunst der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa und 2022 das Stipendium der Stiftung Kunstfonds/ Bonn. Ihre Werke waren in den letzten zwei Jahrzehnten in nationalen und internationalen Ausstellungen zu sehen. Christine Weber lebt und arbeitet in Berlin.
Alekos Hofstetter hat neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit als bildender Künstler in den letzten Jahren eine Vielzahl von Ausstellungen als Kurator konzipiert und organisiert. Als Kurator realisierte er u.a. Ausstellungen für die Zwitschermaschine, das Studio 1 des Kunstquartier Bethanien/ Berlin, die Galerie Lisi Hämmerle/ Bregenz, die Kunsthalle Pakt/ Amsterdam, die Galerie Weisser Elefant/ Berlin, Spor Klübü, Berlin, WEST Germany/ Berlin, ABEL Neue Kunst/ Berlin und WALDEN Kunstausstellungen/ Berlin.
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As part of the WORLD ON WIRE exhibition, the ZWITSCHERMASCHINE is showing works by Irène Hug and Christine Weber. Irène Hug’s spatial installation can be interpreted as an aesthetic intervention in the exhibition space, an artistic statement within the context of an urban discourse, and a reference to the handling of energy, data, and recycling processes. Christine Weber’s paintings, on the other hand, show us portraits of a young woman on the telephone and are akin to the staging of an inner dialogue.
The different positions of both artists are united by the fact that they jointly invite the viewer to reflect on the production of space at the interfaces between art, architecture, film and urbanism.
Irène Hug installs a bundled mass of cables and tubes in the middle of the exhibition space. They seem to literally penetrate the space, coming out of the floor and rising vertically to the ceiling. It is a colourful jumble of various types of conduit materials and cables, such as those found on construction sites. All of the parts are found objects and actually waste or leftovers from construction activities in our residential or commercial buildings. They were there to conduct the energy and data we need every day. Like vital arteries, they connect producers with consumers, yet normally remain hidden. The found objects used can thus be read as archaeological remnants representing a culture in which they were technical functionaries. Here, however, they present themselves in all their colourfulness in a central location like a plastic painting, incidentally also referencing the colour palette of Christine Weber’s paintings.
A second work is installed in the window facing the street. It is a photograph printed on backlit film of a large apartment block in Naples (“Bingo” 2025), which is currently home to a predominantly migrant population. The building stands like a dam at the edge of Naples’ station square, blocking direct access to the historic old town. In the context of the exhibition, the view through one half of the window is blocked by the photograph of the apartment block, while the other half of the window offers a view of the ‘Pallasseum’ apartment block on the opposite side of Potsdamer Straße. Instead of the usual picture frame – a kind of window to a focused view – the right half of the window now appears as a picture frame, offering us a partial view of the post-war modernist building, sometimes referred to as the ‘social palace’.
In her three oil paintings from the series ‘Flip The Switch’, Christine Weber depicts a dialogue and the staging of that very dialogue. A woman is talking on the phone, and the viewer sees the same woman talking on the phone in the mirror, albeit in a different posture. Who is having a dialogue with whom, or is this even a depiction of a soliloquy? In the third painting, it is revealed to the viewer that this is a depiction of a staged dialogue, because the space in which the actress is acting is located within a much larger space, an elaborate film set.
Wilhelm von Humboldt wrote: ‘Man even speaks in his thoughts, only with another person, or with himself, as with another person’ (Ges. Schriften in 17 Bänden. Berlin 1903–1936. Vol. VI. p. 25). According to Humboldt, we cannot think in any other way than in a linguistic-argumentative manner. And: ‘Between thinking power and thinking power … there is no other mediator than language’ (…). Language is simply a relationship between at least two people: ‘Language must necessarily … belong to two’ or ‘language also always addresses the thought expressed in words to another, whether externally real or imagined in the mind’.
Christine Weber’s picturesque staging of the space and the situation conveys that reflection is always dialogical. „In reflection, i.e. thinking about thinking, reflecting on what has been thought, discussing our ways of discussing, etc., one always alternates between the roles of proponent and opponent; one raises objections to oneself in order to refute them if possible or to change one’s convictions with reasons“ (H. Schnädelbach: Reflexion und Diskurs. Frankfurt 1977).
The source of inspiration for ‘Flip The Switch’ was Stanley Kubrick’s 1964 film ‘Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb.’
Alekos Hofstetter, Berlin, June 2025
Irène Hug studied painting at the Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam from 1987 to 1991. In 2020, she received the Neustart Kultur scholarship from the Kunstfonds Foundation in Bonn, and in 2022, she received the Dialogfelder residency scholarship from Club Solitear in Chemnitz and the scholarship from the Kunstfonds Foundation in Bonn. Her works have been shown in national and international exhibitions. Irène Hug lives and works in Berlin.
irenehug.com
Christine Weber studied visual communication at the University of Applied Sciences for Design in Bielefeld from 1989 to 1995 and fine arts at the University of the Arts Berlin under Prof. Klaus Fußmann from 1995 to 1998. In 2021, she received the Research Scholarship – Fine Arts from the Berlin Senate Department for Culture and Europe and in 2022 the scholarship from the Kunstfonds Foundation/Bonn. Her works have been shown in national and international exhibitions over the last two decades. Christine Weber lives and works in Berlin.
christineweber.info
In addition to his main profession as a visual artist, Alekos Hofstetter has conceived and organised a large number of exhibitions as a curator in recent years. As a curator, he has realised exhibitions for Zwitschermaschine, Studio 1 at Kunstquartier Bethanien/Berlin, Galerie Lisi Hämmerle/Bregenz, Kunsthalle Pakt/Amsterdam, Galerie Weisser Elefant/Berlin, Spor Klübü, Berlin, WEST Germany/Berlin, ABEL Neue Kunst/Berlin and WALDEN Kunstausstellungen/Berlin, among others.
http://tannhaeuser-tor.net/